Bevor die Europäische Kommission Gesetzesvorschläge macht, ersucht sie manchmal die Öffentlichkeit, sich einzubringen. Die Zahl der Antworten auf die meisten solchen Konsultationen beträgt einige Dutzend oder Hundert. Sie stammen meist von der Sorte Leute, die für das Ausfüllen von Formularen bezahlt werden: Lobbyist*innen, Industriervertreter*innen, Repräsentant*innen von Nationalstaaten, usw. Doch dieses mal war alles anders.

Ende letzten Jahres startete die EU eine Konsultation über das Urheberrecht. Viele Konsultationen kann man bequem online in mehreren Sprachen beantworten. Diese war jedoch ausgesprochen nutzerunfreundlich gestaltet: Leute mussten ein ausschließlich auf Englisch verfügbares, 80 Fragen umfassendes Dokument in Fachsprache herunterladen, ausfüllen und per E-Mail einschicken. Dennoch begannen die Antworten hereinzuströmen.

Zur großen Überraschung aller war die Beteiligung so hoch wie selten zuvor. Es wollten so viele Menschen ihre Meinung abgeben, dass die Frist verlängert werden musste. Am Ende hatten über 11.000 Personen und Organisationen mitgemacht.

Woher das starke Interesse?

Man könnte meinen, das Urheberrecht wäre eine Nischenmaterie, ein trockenes Rechtsthema. Aber dem ist nicht so! Es hat Auswirkungen auf das tägliche Leben vieler Menschen.

Das trifft vor allem auf EU-Ebene zu: Der Horizont junger Europäer*innen endet heute immer weniger an nationalen Grenzen – aber ein großer Teil der Urheberrechtsgesetze und Lizenzvereinbarungen schon. Das verursacht Konflikte. In welchem Mitgliedstaat sich Menschen aufhalten, schränkt ihren Zugang zu Onlineinhalten auf eine Art und Weise ein, die sie als „größtenteils wahllos und unvorhersehbar“ empfinden. Aufgrund der unterschiedlichen Gesetzeslage kann es sogar illegal sein, ein Foto eines grenznahen Gebäudes zu tweeten, das man in Frankreich aufgenommen hat – aber legal, wenn man dasselbe Gebäude von der anderen Seite der Grenze, aus Deutschland, fotografiert.

Dieses Foto des EU-Parlaments könnte illegal sein!

Weil das französische Urheberrecht keine sog. Panoramafreiheit erlaubt, bräuchte man die Einverständnis der ArchitektInnen, um ein Foto ihres Werks zu verbreiten.

Darüber hinaus gab es noch weitere Gründe für die Menge an Antworten:

Demokratie hacken

Zumindest drei Gruppen taten, was die Kommission versäumt hatte, und bastelten einfach zu benutzende Onlineformulare, mit denen Menschen ihrer Meinung Gehör verschaffen konnten. Eine Gruppe Piratenpartei-Mitglieder brach die 80 Rechtsfragen etwa auf einige häufige Alltagsszenarien herunter und übersetzte sie zudem in 9 Sprachen (Lies die Hintergrundgeschichte dazu auf Englisch…)

Normale Menschen nahmen es also selbst in die Hand, einen komplexen Prozess, der für Polit-Insider gedacht war, allen zugänglich zu machen – Autor*innen sowie Nutzer*innen. Sie hatten dafür nicht um Erlaubnis gefragt.

Ein dringend erforderliches Update

Als die EU-Richtlinie zum Urheberrecht vor 13 Jahren geschrieben wurde, gab es noch kein Facebook und kein YouTube. Seit damals sind wir alle enger miteinander vernetzt als je zuvor.

Information zu teilen ist zu einem selbstverständlichen Bestandteil unseres Alltags geworden: Wenn du etwas findest, das dich interessiert, teilst du einen Link dazu mit deinen Freund*innen. Jedes 100-Euro-Telefon wird mit der nötigen Ausstattung ausgeliefert, Multimedia-Inhalte zu erstellen und zu publizieren. Wir sind alle auch Produzent*innen und Vermittler*innen geworden.

Die meisten dieser Verhaltensweisen sind total legal. Aber manche Handlungen, die unserem Verständnis nach unsere Kultur und unser Leben bereichern, können mit Gesetzen im Konflikt stehen, die noch aus einem anderen Zeitalter stammen.

Zwei Welten

Das sind einige der Gründe, warum viele Nutzer*innen am Urheberrecht interessiert sind. Verwertungsgesellschaften und Verlage sind daran interessiert, weil ihr Geschäftsmodell auf das heutige System aufgebaut ist. Die Konsultation hat eine erstaunliche Kluft zwischen den Ansichten dieser beiden Gruppen zu Tage gebracht. Serviceprovider, aber auch Kulturschaffende sitzen indes zwischen den Stühlen.
reform

Lies die Unterschiede im Detail nach, zusammengestellt von Leonhard Dobusch.

Der Bericht erweckt aber auch den Eindruck, dass man sich nicht nur uneins darüber ist, was getan werden soll, sondern auch bezüglich der Fakten des Status Quo. Es ist, als lebten die Verlage auf einem anderen Planeten:

NUTZER*INNEN: „Die überwältigende Mehrheit berichtet von Problemen, auf Onlinedienste in anderen EU-Mitgliedsstaaten zuzugreifen.“

BIBLIOTHEKEN, UNIVERSITÄTEN, ETC.: „Eine große Mehrheit hält weitere Maßnahmen für nötig, um die grenzübergreifende Verfügbarkeit zu verbessern.“

VERLAGE: „Es gibt keine eindeutigen Beweise dafür, dass es Probleme oder unerfüllte Nachfrage bei der grenzübergreifenden Verfügbarkeit im Musiksektor gibt. … Die überwältigende Mehrheit glaubt nicht, dass Maßnahmen nötig sind.


Was Nutzer*Innen fordern

Aus dem Abschlussbericht der Konsultation lassen sich folgende Top 5-Anliegen der Nutzer*innen ablesen:

  1. Ein gemeinsames, einheitliches Urheberrecht für Europa, das einfacher zu verstehen ist, zu weniger Problemen an den Ländergrenzen führt, und das Nutzer*innen nicht ständig Rechtsunsicherheiten aussetzt.
  2. Kürzere Urheberrechts-Schutzfristen  als die aktuelle Periode von 70 Jahren nach dem Tod der Kulturschaffenden.
  3. Starke Nutzer*innenrechte für nichtkommerzielle Nutzung. Zitat, Kritik, Parodie, wisschenschaftliche Forschung, Bildungszwecke, Bibliotheken – diese Ausnahmen vom Urheberrechtsschutz müssen in der ganzen EU verpflichtend sein. Wir brauchen neue Ausnahmen für „user-generated content“ (damit es beispielsweise nicht mehr illegal ist, Musik im Hintergrund eines Vlogs laufen zu haben) und für Filesharing unter Privatpersonen. Verlage sollten nicht die Möglichkeit haben, diese Rechte auf technische Weise zu unterbinden.
  4. Die Möglichkeit, auf Inhalte zu verlinken, ohne für ihren urheberrechtlichen Status verantwortlich gemacht zu werden – der häufig für Nutzer*innen unmöglich zu bestimmen ist.
  5. Ein zukunftsfittes Urheberrecht: Das Gesetz sollte Nutzungsformen nicht kategorisch verbieten, die noch nicht voraussehbar waren, als es geschrieben wurde. Eine offene „Fair-Use“-Klausel würde Gerichten ermöglichen, zukünftige Nutzungen im Einzelfall abzuwägen.

Der Streit um die Urheberrechtsreform hat begonnen

Im Herbst wird die neue EU-Kommission ihre Reformabsichten präsentieren. (Die Veröffentlichung wurde zuletzt nach internen Differenzen verschoben.)

Die Konsultation hat aufgezeigt: Die Menschen in Europa bekommen die Mängel des rechtlichen Status Quo gehörig zu spüren. Selbst in Zeiten generell steigender EU-Skepsis verlangt die überwältigende Mehrheit nach einem ambitionierten Plan, das Urheberrecht in der gesamten EU zu harmonisieren und für aktuelle Herausforderungen fit zu machen.

Wir müssen diese Botschaft verbreiten und verstärken. Als neue Abgeordnete zum Europaparlament wird das für mich höchste Priorität haben. Aber ich brauche deine Hilfe.

Ich nehme die Sorgen und Bedürfnisse der Kulturschaffenden sehr ernst. Aber mir liegt auch viel daran, dass wir die einzigartigen Chancen, die vor uns liegen, ergreifen: Wir können allen Menschen kulturellen Zugang und Partizipation ermöglichen, ohne dass sie das Gesetz fürchten müssen. Wir können allen Menschen den emanzipierten Umgang mit Kulturgütern zu eröffnen – also das Teilen, Zitieren, Lernen und das Schaffen neuer Werke auf der Basis von Vorangegangenem. Wir können allen Menschen die Fähigkeit verleihen, Urheber*innen und nicht bloß Konsument*innen zu sein. Wir können ein Urheberrecht haben, das der gesamten Gesellschaft dient, nicht nur kommerziellen Interessen.

Das sind Möglichkeiten, von denen unsere Vorfahren nicht zu träumen gewagt hätten. Wir dürfen ihre Umsetzung nicht länger aufhalten mit einer Denke, die an nationalen Grenzen endet und Gesetzen, die für eine andere Ära geschrieben wurden.

Dafür were ich im Europäischen Parlament kämpfen.
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Soweit dies durch das Gesetz möglich ist, hat der Schöpfer auf das Copyright und ähnliche oder Leistungsschutzrechte zu seinem Werk verzichtet.

3 Kommentare

  1. 1

    Guter Text. Respekt.
    Aber das mit den *innen find ich etwas affig.
    Nix für ungut.

    Trotzdem: Weiter so

  2. 2
    bigfoot

    Danke Julia, dafür dass du uns aufzeigst, dass das liebe Volk und die liebe Wirtschaft und Politik einander beim Thema Urheberrecht nicht so gut verstehen. Ich wünsche mir diesbezüglich auch eine moderne Gegenwart und freue mich, dass du dich dafür einsetzt.
    Ich kann mir vorstellen, dass du da oft gegen Wände läufst und keinesfalls offene Türen einrennst. Ich wünsche dir daher besonders viel Einfühlungsvermögen, damit du in Betonköpfen doch etwas bewegen kannst. :)